Manuela und ihre Rezepte - Maria die Köchin - Nonna Zita

Großmutter Zita ist die Frau von Großvater Stefano, die Mutter von Maria, Iolanda, Aladino, Aladina und meines Vaters Teobaldo, des Jüngsten, geboren 1922. Sie hatte 1906 geheiratet und bekam 1907 ihr erstes Kind, einen Jungen, der kurz nach der Geburt starb und, da er noch nicht vom Pfarrer getauft war, in das Limbo kam, einen besonderen Ort, an den alle nicht Getauften damals auf Geheiß des Pfarrers kamen. Dem folgend taufte Großmutter Zita als praktisch veranlagte Frau alle ihre Kinder selbst unmittelbar nach der Geburt. Das bedeutete, dass alle ihre Kinder zweimal getauft wurden, und sie waren alle sehr stolz darauf – bis der Pfarrer dahinter kam. Als Zita als Jungverheiratete aus dem Nachbardorf kam, ließ sie Stefano das Versprechen abgeben, dass sie nie in den Wald geschickt würde, um Holz für das Feuer oder den Terracotta- Herd, wo das Brot für die Familie gebacken wurde, zu sammeln. Als das Versprechen nicht durch meinen Großvater eingehalten wurde und sie ihn um Erklärung bat, entgegnete er, es sei nicht er, der sie dazu zwinge, sondern die Notwendigkeit, die Familie warm zu halten und frisches Brot zu haben. Daraus lernte Zita, niemanden um ein Versprechen zu bitten, zu groß sei die Enttäuschung, würde es dann doch nicht eingehalten. Sie brachte die Familie praktisch alleine durch, hatte ihren wunderschönen Gemüsegarten, alle Arten von Haustieren, von der Kuh, die frische Milch lieferte, über Hühner, Enten, Kaninchen bis zu einem Schwein, das immer im November geschlachtet wurde. Großvater Stefano arbeitete in Korsika, wo er für die reichen französischen Familien Häuser baute. Er pflegte alle zwei Jahre nach Hause zu kommen, um nach dem Rechten sehen und Großmutter Zita schwanger werden zu lassen. Aus diesem Grunde war Zita nicht allzu glücklich, wenn ihr Mann nach Hause kam. Sie vermisste ihn sehr, denn das Leben in einem kleinen Dorf ohne Ehemann war nicht einfach, aber es war ihr im Grunde lieber, ihn zu vermissen und alle Arbeit auf dem Hof selbst zu verrichten als alle zwei Jahre ein Kind zu bekommen. So war sie eher glücklich, als er entschied, nach Amerika zu gehen, so würde es länger dauern, bis er wieder nach Hause käme und sie konnte ein wenig ausruhen. Aus diesem Grunde besteht der Altersunterschied zwischen meinem Vater und seiner älteren Schwester Aladina.

  • Zita arbeitete hart auf dem Hof, und als die Kinder heranwuchsen, konnte sie auf ihre Hilfe zählen. Sie wusch und bügelte auch für die reicheren Familien in Lucca. Sie pflegte die 7 km zu Fuß zu gehen, um die Wäsche im Korb auf dem Kopf tragend abzuholen,  dann eine Woche später 7 km zurück. Sie lernte eine Menge bei ihren wöchentlichen Wegen in die Stadt, Dinge, die des Schreibens unkundige Frauen seinerzeit einfach nicht wissen konnten. Sie erfuhr, dass die Stadtmenschen schon damals nicht so frei und glücklich waren wie sie, dass die Stadtkinder zwar mehr hatten als ihre, aber blass aussahen und weniger Respekt gegenüber den kleinen Dingen hatten als ihre Kinder. Für sie bedeutete das, dass Geld nicht glücklich macht, wenn man die Veranlagung zum Glücklichsein nicht im Blut hat. Sie lernte, Menschen durch einen Blick in die Augen auf ihre Vertrauenswürdigkeit einzuschätzen.

Von ihren wöchentlichen Gängen brachte sie stets altes Bucellato mit – es war billiger, wenn es bereits einen Tag alt war: ein süßes Brot mit Rosinen und Anis, das sie später zu  braten und als Nachspeise zu servieren lernte – aber nur zu wirklich besonderen Anlässen. Ihre Kinder begleiteten sie umschichtig auf ihren Gängen nach Lucca, manchmal stritten sie darum mitzudürfen, denn wer mit kam erfuhr eine besondere Behandlung: ein süßes Gebäck in der Art eines Krapfens genannt „frate“. Nach einer gewissen Zeit hatte sie den Straßenverkäufer überzeugt, ihr endlich das Rezept zu verraten, und von dieser Zeit an war sie die einzige im Dorf, die „frates“ machen konnte. Aber eben immer noch nur zu besonderen Anlässen, denn man benötigte Eier zur Herstellung und damit wurde es problematisch, denn die Eier vom Hof wurden auf dem Markt verkauft, um andere Dinge zu erstehen, die sie nicht selbst erzeugen konnte, wie Salz, Pfeffer und Schnupftabak. Auf den Wegen nach und von Lucca begegnete sie immer auch anderen Frauen, so konnte sie Erfahrungen des Alltags austauschen, hausgemachte Arzneien, Rezepte, manchmal auch politische Gedanken, wenn sie den Männern auf dem Weg zum Markt zuhörten. Kurzum, die anderen Frauen im Dorf sahen zu ihr auf, und oft wurde sie zu Geburten geholt, wenn die Hebamme nicht verfügbar war, kleine Behandlungen durchzuführen, wenn sich jemand bei der Feldarbeit verletzt hatte, Zahnweh zu behandeln, Magenschmerzen oder eben Übel aller Art.

  • Sie wollte nie einen Pfennig für ihre Hilfe, sie bekam jedoch etwas zurück, was viel mehr wert war: den Respekt und die Hochachtung aller Männer und Frauen im Dorf.

Eines ihrer Lebenserfahrungen war: „Wenn Du etwas durch die Tür gibst, kommt es immer durch das Fenster wieder herein“. Über sie waren auch alle ihre Kinder im Dorf von den anderen Kindern respektiert. In Zita’s Haus fanden sie immer irgend etwas zu essen. Jedermann war jederzeit willkommen. Bei jedem Essen plante sie Extra-Portionen ein, denn sie wusste ja  nie, ob noch jemand kommen würde. Das war ihre Stärke und, so glaube ich, kam  es, dass sie so eine gute Köchin wurde.

  • Zita war auch sehr auf Hygiene bedacht; sie sagte immer: „eine saubere Küche und ein sauberes Bett sorgen für ein langes Leben“.

Im Haus gab es kein fließendes Wasser, alles benötigte Wasser kam aus dem Brunnen im Vorgarten, wo im Sommer übrigens auch die Vorräte aufbewahrt wurden. Die frischzuhaltenden Lebensmittel kamen in den Kupfereimer und wurden bis kurz oberhalb der Wasseroberfläche hinabgelassen. Ich kann Euch versichern, die Temperatur dort war wirklich niedrig. Einmal fiel eine Wassermelone, die man zur Kühlung hinuntergelassen hatte, aus dem Eimer; es gab keine Möglichkeit sie herauszufischen, stundenlang trieb sie an der Wasseroberfläche, bis eines von Zita’s Kindern entschied, sich einen Strick um den Bauch zu binden, sich abseilen zu lassen und die Melone zu retten. Bis heute hat der Schwur gehalten nicht zu verraten, wer es war -  Zita’s Zorn hätte ihn/sie bis in die Ewigkeit verfolgt. Selbst heute, wo Tante Aladina als einzige Überlebende in ihren 90ern ist, der Schwur wurde eingehalten. Zita’s Kinder hatten früh gelernt, was ein Schwur ist, aber eben auch eine Wassermelone.

  • Nun könnte man sich fragen: was hat das alles mit Rezepten zu tun? Wenn man aber wirklich nachdenkt, gibt es eben hinter jedem Familienrezept eine eigene Story. Man muss etwas über das Leben eines Menschen wissen, um zu verstehen und wertzuschätzen, was er kocht, und Zita, die des Schreibens unkundige Bauersfrau war  wirklich eine interessante und prall im Leben stehende Person. Sie war fast 40, als sie zum ersten Mal das Meer sah – und Viareggio ist gerade einmal 25 km vom Dorf San Leonardo in Treponzio entfernt. Und das Privileg das Meer zu sehen hatte sie auch nur, weil eine ihrer älteren Schwestern eine Nonne des Santa Zita Ordens war und in ein Kloster am Meer versetzt wurde. So kam Zita sehr früh am Morgen in die Stadt (Viareggio) und sah die kleinen Fischerboote anlanden, um ihren Fang zu verkaufen. Bei jedem, der das Meer zum ersten Mal gesehen hat, würde man denken, er kommt nach Hause und erzählt Freunden und Kindern von der herrlichen Küste und den Fischerbooten. Nicht so Zita; sie sprach nur über die vielen Fischkörbe, all die verschiedenen Sorten, bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie nur Stockfisch gekannt - ein Armeleute-Essen der damaligen Zeit für Freitage, heutzutage ist Baccala sehr teuer, aber über diese Rezept sprechen wir ein andermal.

Ich habe von Zita das Kochen gelernt, ein klein wenig habe ich von mir hinzugefügt. Sowohl mein Mann wie ich lieben es, in unserer Küche zu arbeiten. Wir geben u ns alle Mühe, alle uns überlieferten Rezepte zu nutzen. Es macht uns auch Freude, alle unsere Freunde und Gäste mit den netten Geschichten zu unterhalten, die mir von Zita weitergegeben worden sind. Ich bin sicher: würde sie mich sehen, wie ich heute ihr Leben und ihre Rezepte in den Computer schreibe, sie wäre glücklich und zufrieden – gib etwas durch die Tür, und es kommt immer durch das Fenster zurück......